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Können Wildtiere in einer immer dichter besiedelten und vom Outdoor-Sport genutzten Kulturlandschaft den Winter noch selbständig überleben?

Die Schutzwirkung von Wäldern gewinnt aufgrund der expandierenden Siedlungs- und Infrastruktur im Alpenraum zunehmend an Bedeutung. Rotwild, Rehwild und andere Schalenwildarten haben das Potential, die von ihnen beanspruchten Lebensräume durch ihr Äsungsverhalten massiv zu beeinflussen und zu verändern. Schwankungen der Populationsgrößen nach oben und unten sind in einer Wildtierpopulation durchaus natürlich. Wetterextreme in der Natur, wie zum Beispiel enorme Schneemengen, können derartige Schwankungen nach unten verursachen, die bei leicht beobachtbaren Arten wie Rotwild und Rehwild von der Bevölkerung in einer Kulturlandschaft allerdings nicht toleriert werden. Im Winter wanderte das Rotwild ehemals in klimatisch günstigere Bereiche in den Tallagen. In vielen Alpentälern reichte auch einfach der Wechsel von der Schatt- zur Sonnseite. Diese natürlichen jahreszeitlichen Wanderungsbewegungen sind heute in vielen Fällen unmöglich. Klimatisch begünstigte Lagen werden für Landwirtschaft und als Siedlungsraum benutzt. Wintertourismus führt heute bis in die Gipfelregionen, sodass gut geeignete Ruhe- und Rückzugszonen immer weniger werden. Es stellt sich die Frage, ob das Schalenwild auch heute noch ohne Hilfe des Menschen in der Kulturlandschaft überwintern kann. Natürliche Anpassung an den Winter Grundsätzlich sind Wildtiere an den Nahrungsengpass im Winter gut angepasst. Im Winter steht nur ein Bruchteil der in der Vegetationszeit vorhandenen natürlichen Nahrung in Quantität und Qualität zur Verfügung. Das Schalenwild muss dann von seinen Fettreserven zehren, die es in der Vegetationsperiode anlegt. Eine erfolgreiche Überwinterung des Schalenwildes beginnt somit mit ausreichender Nahrungsverfügbarkeit während der gesamten Vegetationsperiode. Zusätzlich sind folgende physiologischen Eigenschaften des Schalenwilds für die Überwinterung wichtig:

  • Schalenwild benötigt im Winter weniger energiereiches und vor allem weniger eiweißreiches Futter als im Frühjahr und Sommer während der Jungenaufzucht. Das Verdauungssystem ist daran angepasst. Presseinformation des Forst & Jagd Dialogs
  • Die Tiere reduzieren ihren Stoffwechsel und Energiehaushalt im Winter deutlich. Die Herzschlagfrequenz sinkt, die Wildtiere sparen gezielt Energie und reduzieren dazu auch ihren Aktionsradius. Dafür sind Bereiche mit lokal günstigen Schnee- und Klimaverhältnissen und vor allem Ruhe notwendig.
  • Die Wildtiere wechseln ins Winterhaar, um Energieverluste durch die Abgabe von Körperwärme zu minimieren. Ruhe ist wichtigster Überwinterungsfaktor Das Schalenwild hat sich im Laufe

    Tiere suchen Schutz bei Häusern und Siedlungen und wandern immer mehr in die Tallagen

    seiner Evolution an die Bedingungen im Winter angepasst. Nur durch ausreichend Ruhe kann aber der Energieverbrauch so weit gesenkt werden, dass ein Überleben im Winter möglich ist. Extremsituationen, wie z.B. außergewöhnlich hohe Schneelagen, tiefe Temperaturen oder längere Perioden mit Harschschnee verschärfen die Situation zusätzlich. Wildtiere folgen ihrem natürlichen Instinkt in klimatisch günstigere Bereiche und können dadurch vermehrt in Siedlungsnähe oder an Verkehrswegen auftauchen und erlangen damit besondere Aufmerksamkeit in der Gesellschaft. Gerade in Wintersportgebieten, wo Outdoor-Sportarten abseits von gekennzeichneten Pisten ausgeübt werden, ist die Überwinterung von Hirsch und Co. eine große Herausforderung. Durch Störungen ausgelöste Flucht- und Ausweichbewegungen können mittelfristig durch körperliche Erschöpfung zum Tod der Wildtiere führen und sind daher tunlichst zu vermeiden. Auf Basis einer regionalen Raumplanung, die insbesondere die Bedürfnisse der Wildtiere berücksichtigt, sollten zumindest abseits von Wegen und abgestimmt mit Tourenrouten temporäre Wildruhezonen ausgewiesen werden. Diese sollten zum Schutz der Wildtiere vom Menschen vor allem im Winterhalbjahr auch nicht betreten werden dürfen. Wildlenkung gezielt verstärken In zahlreichen Regionen Österreichs erfolgt die alljährliche winterliche Fütterung unabhängig von der Strenge des Winters, weil ihre nachhaltige Lenkungswirkung von großer Bedeutung ist. Es ist Ziel, die Tiere von Siedlungen, Verkehrswegen und Waldgebieten mit hohem Konfliktpotential durch mögliche auftretende Wildschäden, fern zu halten. Der artgerechten und gewissenhaft durchgeführten Fütterung des Schalenwildes kommt im Hinblick auf das Wohlbefinden des Wildes und die Vorbeugung von Wildschäden wesentliche Bedeutung zu. Die Fütterung soll die verlorengegangenen Winterlebensräume des Rotwildes, so gut es geht, ersetzen und damit Schäden am verbliebenen Lebensraum und insbesondere am Wald möglichst verhindern. Entscheidungen, wo, wie lange und womit gefüttert wird, erfordern ein hohes Maß an Fachwissen, Erfahrung und Verantwortung sowie die Berücksichtigung gesicherter wildbiologischer und jagdwissenschaftlicher Erkenntnisse. Bei artgerechter Fütterung wird die Vitalität des Schalenwildes verbessert. Um in der Folge ein Ansteigen der Schalenwildbestände und damit der Wildschäden zu vermeiden, müssen erforderlichenfalls die Abschüsse rechtzeitig angepasst werden. Das Nahrungsangebot für die Wildwiederkäuer kann in Waldgebieten auch durch Waldpflegemaßnahmen und der damit verbundenen Auflockerung des Kronendachs positiv beeinflusst werden. Durch die Förderung einer reichen Kraut- und Strauchschicht wird eine natürliche Nahrungsquelle geschaffen. Diese waldbaulichen Maßnahmen wirken lenkend, weil das Wild sich bevorzugt dort aufhalten wird, wo es auch ausreichend Nahrung findet. In winterlichen Extremsituationen kann eine ausschließlich zeitlich befristete „Notfütterung“ notwendig werden. Dabei werden natürliche Futterquellen bevorzugt, wie rechtzeitigt geschlagenes Prossholz (Knospen von Zweigen, Misteln und Flechten). Ergänzend wird qualitativ bestes Heu vorgelegt, weil dies die geringste ernährungsphysiologische Umstellung für Wiederkäufer erfordert. Regionale Überwinterungskonzepte berücksichtigen alle Bedürfnisse Die regional unterschiedlichen Nutzungsansprüche an den Naturraum erfordern einen aktiven Interessenausgleich. Beim Ausgleich der Vielfalt dieser Interessen und Erwartungen werden zum Wohle des Schalenwildes folgende Punkte bedacht:

  • Wild und Mensch gehören gelenkt, aber in unterschiedliche Richtungen. Kooperationen zur Lenkung aller Naturnutzer sind unumgänglich und werden daher forciert. Ein lösungsorientierter Austausch mit Alpinvereinen wird aktiv gesucht. Über Informationskampagnen werden Naturnutzer für die Bedürfnisse der Wildtiere sensibilisiert. Weitgehend störungsfreie Gebiete (Wildruhezonen) bieten dem Wild die Möglichkeit, sich für eine naturnahe und artgerechte Überwinterung zurückzuziehen.
  • Die Integration von Rotwild in einer intensiv genutzten Kulturlandschaft erfordert vor allem für Regionen mit hohem Schutzwaldanteil besondere Anstrengungen, da die natürlichen Wintereinstände in den Tallagen oft gestört oder nicht mehr erreichbar sind.
  • Eine allfällige Fütterung zu Lenkungszwecken dient daher auch der Vermeidung von Wildschäden am Wald. Voraussetzungen für einen weitestgehenden Verzicht auf die Winterfütterung sind Rückzugsgebiete in lokalklimatisch günstige Lagen mit ausreichend natürlichem Nahrungsangebot und Ruhe.
  • Gerade in der heutigen Kulturlandschaft sind die natürlichen Wildlebensräume oft stark beeinflusst und verändert, womit die Wilddichten auch an den jeweiligen Lebensraum angepasst werden müssen. Die nachhaltige Regulierung des Schalenwildes orientiert sich sowohl an der Gesunderhaltung des Wildes als auch an der Tragfähigkeit der Winterlebensräume.
  • Überwinterungskonzepte ohne Fütterung sind aus wildökologischer Sicht zu bevorzugen, jedoch in der vom Menschen intensiv genutzten Kulturlandschaft nicht immer möglich. Eine Winterfütterung an fixen Standorten dient als Lenkungsinstrument dort, wo dies notwendig ist. Diese erfolgt zur Aufrechterhaltung des Lenkungseffektes ohne Unterbrechung während des gesamten Winters. Eine allenfalls erforderliche Verlegung oder Auflassung von Futterplätzen erfolgt unter behördlicher Begleitung. Eine Anpassung der Wilddichte durch jagdliche Maßnahmen wird in der Regel notwendig sein.
  • Während witterungsbedingter Extremsituationen können ergänzend zu einer allfälligen Lenkungsfütterung Sondermaßnahmen, wie z.B. Notfütterungen, gesetzt werden. Dazu ist es zweckmäßig, im Rahmen eines regionalen Überwinterungskonzeptes für eine zeitlich befristete, zwischen den Akteuren abgestimmte „Notfütterung“ von Rot[1]und Rehwild ebenfalls auf vordefinierten Standorten zu sorgen. Auf die Verwendung von artgerechtem Futter wird besonderer Wert gelegt.
  • Alle forstlichen Maßnahmen, die mehr Licht auf den Waldboden bringen, fördern die Waldverjüngung und die Bodenvegetation. Dadurch wird das Nahrungsangebot für die Pflanzenfresser auf naturnahe Weise verbessert, die Tragfähigkeit der Lebensräume erhöht und auch das Wildschadensrisiko gesenkt

Quelle; Presseinformation des Forst & Jagd Dialogs